Der alte Botanische Garten

Der Alte Botanische Garten von Shanghai (上海植物园; Shànghǎi Zhíwùyuán) ist rund 80 Hektare gross und eine wunderschöne grüne und kühle Oase mitten in der Grossstadt. (Zum Vergleich: der Botanische Garten Bern ist etwa 2 ha gross, derjenige von Zürich immerhin 5.3 ha.)

Ich durchstreife am Nachmittag den nördlichen Teil und treffe unterwegs nur wenige, meist ältere, Leute an, darunter mehrere Gärtner, die immer paarweise unterwegs sind; ein Pärchen, das offensichtlich Hochzeitsfotos aufnimmt; ein Mann, der selbstvergessen und in aller Seelenruhe seine Schattenboxen-Übungen macht und ein altes Ehepaar, das sich oben auf einem kleinen Hügel häuslich eingerichtet hat und gemeinsam Lieder singt.

Kurz, eine äusserst friedliche Angelegenheit!

Heiratsmarkt

Männer ...

... Frauen ...

... Einzelkämpfer ...

... und Agenturen

Heute steht der berühmt-berüchtigte Heiratsmarkt am People’s Square auf dem Programm. Das Angebot an jungen Männern und Frauen im heiratsfähigen Alter ist riesengross, wenn auch manche ‘Ware’ nicht mehr ganz taufrisch sein dürfte: Einige der unzähligen Steckbriefe sind bereits arg vom Regenwasser verwaschen und ziemlich unleserlich… Neben den offensichtlich professionellen Partnervermittlungsagenturen mit entsprechendem Grossangebot gibt es auch Grosseltern, die die Daten des einzigen Enkelkindes auf dem Regenschirm präsentieren. Mal abgesehen von der doch etwas unüblichen Form ist diese Form der Partnersuche letztlich nur unwesentlich anders als unsere Kontaktanzeigen in der Zeitung: Ein paar wenige Merkmale (Jahrgang, Grösse, Ausbildung, Handynummer) auf zwei, drei Zeilen müssen genügen, um das Interesse des Lesers, der Leserin zu wecken.

Nicht zuletzt als Folge der Einkindpolitik seit den 80er Jahren besteht in China ein zunehmender Männerüberschuss. Die Ansprüche an einen annehmbaren Ehemann sind in Shanghai ziemlich hoch: Neben einem Bachelor-Abschluss, einer sicheren Anstellung und einer Niederlassungsbewilligung für Shanghai (户口; hùkǒu) gehören ein Auto (lieber gleich ein Minivan) und eine eigene Wohnung (bitteschön nach 2000 gebaut) zur Mindestausstattung, bevor überhaupt ans Heiraten gedacht werden kann. Das ist bereits eine ziemliche Hürde, denn Wohnungen sind in Shanghai teuer und um eine Bankhypothek zu bekommen, müssen 30% Eigenkapital vorhanden sein. Nach der Heirat sind die Männer neben der Erwerbsarbeit häufig auch fürs Kochen, Abwaschen und Wäsche waschen zuständig.

Ritterliches Erfrischungsgetränk

Wer mich kennt, der weiss, dass ich kohlesäurehaltigen Getränken nicht viel abgewinnen kann. Allerdings habe ich gegen ein wenig Ritterlichkeit ab und zu nichts einzuwenden.

Im ersten Moment ist die Idee, freiwillig und mit Genuss salziges Quellwasser mit Zitronengeschmack zu trinken (noch dazu aus dem Hause Coca Cola…!), ja wirklich nicht gerade naheliegend. Aber nach einem schweisstreibenden Ausflug durch das sommerlich heisse Shanghai ist eine Flasche Chivalry (auf Englisch) bzw. Xuěfēilì (auf Chinesisch, frei übersetzt etwa ‘Wohlschmeckende Schnee-Kraft’) aus dem Kühlschrank genau das Richtige.

Das Zeug ist nämlich zuerst schon gewöhnungsbedürftig: Der Geruch erinnert an den letzten Hallenbadbesuch, der erste Schluck an einen unfreiwilligen Taucher im Mittelmeer und im Abgang bleibt ein Geschmack nach Pfefferminz-Zahnpasta im Mund zurück… Letztlich ist 雪菲力盐汽水 (Xuěfēilì Yán Qìshuǐ, Chivalry Salt Soda Water) aber einfach ein isotonisches Getränk. – Na dann, Prost!

"Erfrischt, dass es zischt!"

Philip ist wieder weg…

Da ist es nur ein schwacher Trost, dass wir vermutlich kurze Zeit mit gleicher Geschwindigkeit unterwegs waren: Er im Flugzeug auf der Startbahn beim Take-off um 9:05 Uhr und ich in der Maglev, die zwischen 9 und 11 Uhr endlich mehr Gas geben darf (oder eben gerade nicht) als die müden 300 km/h, an die wir uns inzwischen schon als Standard gewöhnt haben.

Die Magnetschwebebahn beschleunigt in beeindruckend kurzer Zeit auf die Maximalgeschwindigkeit von 438 km/h, sehr zur Freude einer Gruppe chinesischer Damen jeglichen Alters, die enthusiastisch mitzählen: 435 … 436 … 437! … 438!!

Die Shanghai Maglev (上海磁浮列车, Shànghǎi Cífú Lièchē) fährt seit Ende 2002 auf der 30 km langen Strecke zwischen der Metro-Station Lóngyáng Lù und dem Internationalen Flughafen in Pǔdōng. Dafür braucht der Zug nur knapp acht Minuten. Nach etwas mehr als 3 Minuten und 12.5 km ist die Maximalgeschwindigkeit von 430 km/h erreicht und nach nur gerade 50 Sekunden wird schon wieder abgebremst.

Der Zug war bei den drei Fahrten, die ich bisher damit unternommen habe, noch nie wirklich gut besetzt. Aber anscheinend ist die Strecke als Versuchsbetrieb konzipiert und muss gar nicht wirtschaftlich betrieben werden. Spass macht die schnelle Fahrt auf jeden Fall!

East meets West

Zürcher Geschnetzeltes auf Shanghai-Art: Für den letzten gemeinsamen Abend haben Philip und ich der Gastfamilie vor ein paar Tagen etwas übermütig ein richtig schweizerisches Nachtessen versprochen. Auch der Hausherrin ist der Gedanke wohl nicht ganz geheuer, jedenfalls will sie mich offensichtlich nicht in ihrer eigenen Küche werkeln lassen… Stattdessen kochen wir zuhause, d.h. im gemeinsam als Koch- und Waschplatz genutzen schmalen Gang vor der Wohnungstür der Grosseltern.

Schon das Beschaffen der Zutaten ist ein Abenteuer. In den kleinen Quartierläden, in denen wir normalerweise günstig einkaufen, gibt es zwar jede Menge exotisches Gemüse, abartige Snacks (z.B. Entenhälse und Hühnerfüsse) und Süssgetränke in allen Farben des Regenbogens. Aber keine Kartoffeln, kein Kalbfleisch und schon gar keinen Rahm. Im City-Shop dagegen kauft man zusammen mit allen anderen Lǎowài (老外; ‘Alten Ausländern’) zu Globus Delicatessa-Preisen ein, wird dafür aber auch mit dem verzweifelt gesuchten Rahm (von Nestlé! aus Australien!) und Knorr-Bouillonwürfeln belohnt. Nur das Kalbfleisch bleibt auch so noch eine Herausforderung, der ‘kleine Ochse’ (小牛; xiǎo niú) hat zwar keine Knochen mehr, das fachmännische Zerlegen des halben Beines bleibt aber immer noch der Hausfrau überlassen. Zum Glück hat mir dabei kein Metzger über die Schulter geschaut…

Erstaunlicherweise gelingt aber die Zubereitung trotz ungewohnter Randbedingungen ganz gut und das Ergebnis lässt sich durchaus sehen und essen.

Alles mit Stäbchen, selbstverständlich! – Auch den Salat und die Erbsli…

Fitness Center à la chinoise

Die meisten Expats, die etwas für ihre Figur tun wollen, gehen hier in ein Fitness Center nach westlichem Modell. Dabei gibt es in jedem ‘Model Quarter’ (und also auch bei uns) ein öffentliches, kostenloses und umweltfreundliches Angebot an Fitnessgeräten für jeden Muskel. Beim ersten ungenauen Hinschauen dachte ich ja noch, es handle sich bei den farbenfrohen Objekten um eine Kinderspielplatz-Ausstattung. Doch die ‘Kinder’, die sich eingehend damit beschäftigten, waren allesamt weisshaarig und ziemlich angejahrt…

Rund um Yangshuo

Am Nachmittag radeln wir auf rosaroten Eingängern dem Yulong-Fluss (遇龙河; Yùlóng Hé, Triff-den-Drachen-Fluss) entlang gemütlich durch die Landschaft um Yangshuo (阳朔; Yángshuò). Zuerst geht es über leidlich geteerte Strässchen mit nur vereinzelten fiesen Schaglöchern, dann über staubige Schotterpisten, auf denen uns im Höllentempo Lastwagen entgegenkommen, die Bambusflosse flussaufwärts transportieren, und zum Schluss fahren wir über schmale Feldwege, die mit spitzen Steinen und Sumpflöchern übersät sind. In der Schweiz werden für viel Geld Mountain-Bike-Trails extra so hergerichtet (vermutlich mit aus China importierten Steinen…), hier gehört es einfach zum Alltag und die gemieteten Drahtesel halten das auch problemlos aus. Auf die ultimative Herausforderung treffen wir schliesslich, als zwei Wasserbüffel Lust auf ein Bad im Tümpel bekommen und dabei das Seil, an dem sie an der Nase angebunden sind, quer über den Weg spannen.

Am Rand der Lotus-, Erdnuss- und Chilischoten-Felder flattern unzählige riesengrosse Schmetterlinge herum. Meine zeitraubenden Versuche, die Flatterdinger vor die Linse zu bekommen, führen am Ende dazu, dass mich die beiden Männer hoffnungslos abhängen – und das ausgerechnet vor einem Dorf mit unzähligen Abzweigungen und Weggabelungen… Ich will gerade Handy-Andy anrufen, da radelt mir Philip entgegen, um mich abzuholen. Uff!

Auf dem Li-Fluss

Der 437 km lange Li-Fluss (漓江; Lí Jiāng) ist vor allem für die unzähligen bizarr geformten Kegelberge und Karsthöhlen an seinem Ufer zwischen Guilin und Yangshuo berühmt. Für die Chinesen gelten die nebelverhangenen Berge seit Jahrhunderten als Inbegriff einer schönen Landschaft, die auf unzähligen Rollbildern in Tusche festgehalten oder in epischen Gedichten besungen wurde. Die beeindruckende Gegend ist auch auf der 20-Yuan-Note abgebildet.

Jeden Morgen um halb zehn Uhr tuckert eine lange gemütliche Karawane von Touristenschiffen mit sehr geringem Tiefgang vom Pier in Guilin los und lässt sich vier Stunden lang gemächlich flussabwärts bis Yangshuo treiben. So bleibt genug Zeit, um die Fischer mit ihren abgerichteten Kormoranen auf den schmalen Bambusflossen zu beobachten, bei einem fliegenden Händler ein Bündel Litschis (荔枝, lìzhī) zu kaufen, den Wasserbüffelherden beim Plantschen zuzusehen oder die hübschen Bambusbäume zu betrachten, die mit ihrer geschwungenen Form an die Schwanzfedern eines Phönix erinnern.

Die Boote fahren so nahe hintereinander, dass die Besatzung Zettelchen mit der Bestellung fürs Mittagessen austauschen kann. Während der Fahrt legen die Anwohner des Flusses nacheinander längsseits an und verkaufen ihre fangfrischen Fische und andere Lebensmittel, die dann in der offenen Bordküche sogleich weiterverarbeitet und für die hungrigen Gäste auf dem Schiff zubereitet werden.

Unser Guide Andy hat einen herrlichen Sinn für Humor, sehr gute Englisch-Kenntnisse und ein zuverlässiges Netzwerk an Freunden und Bekannten, mit denen er permanent per Handy in Kontakt steht und die ihm bei der reibungslosen Organisation unserer Tour behilflich sind.

Weil Andy so sympathisch und zuverlässig ist und wir noch kein Programm für den Sonntag haben, buchen wir ihn gleich für den Besuch der Reisterrassen bei Longsheng. Es ist beeindruckend zu sehen, mit wieviel Zielstrebigkeit und gesundem Ehrgeiz der Mann seine Karriere vorantreibt. Seine Nachfassaktionen nach den beiden Ausflügen sind marketingmässig vorbildlich und erzielen so auch den gewünschten Erfolg.

Guilin

Die für chinesische Verhältnisse eher kleine Stadt Guilin (桂林, Guìlín) liegt in Guangxi am Ufer des Li-Flusses. Guangxi (广西, Guǎngxī) hat seit 1958 den Status eines Autonomen Gebietes, denn zwölf von insgesamt 56 von der Volksrepublik China anerkannten Minoritäten sind hier zuhause. Neben den Han-Chinesen (Bevölkerungsanteil 85%), sind etwa 380’000 Yao (瑶族, Yáozú) und 220’000 Zhuang (壮族, Zhuàngzú) in den Berggebieten von Guangxi beheimatet.

An unserem ersten Abend spazieren wir durch die Innenstadt und entdecken in einem kleinen Park die typisch chinesisch-kitschig beleuchteten Zwillingspagoden. Die Sonnenpagode ist 41m hoch und hat neun Stockwerke, die über schmale steile Treppen erreichbar sind. Sie steht in einem kleinen See und ist durch einen kurzen Unterwassertunnel mit der kleineren Mondpagode verbunden. Beide Pagoden können bestiegen werden und bieten von den verschiedenen Balkonen aus eine hübsche Aussicht über das nächtliche Zentrum von Guilin. Die Mondpagode ist sieben Stockwerke und 35m hoch und aus Marmor, während die Sonnenpagode fast ganz aus Kupfer besteht.